Wo Autofahrer fünf Tage pro Jahr im Stau stecken

Wo Autofahrer fünf Tage pro Jahr im Stau stecken

Ansicht von Istanbul mit Hochhäusern, Bürogebäuden und breiter Straße.

Stand: 27.12.2025 18:16 Uhr

Nicht zum Aushalten, Vollkatastrophe, Zumutung – so urteilen Istanbuler über den Verkehr. Und die Daten geben ihnen Recht: Istanbul ist die Stau-Hauptstadt der Welt. Experten fordern einen schnelleren Ausbau des Nahverkehrs.

Uwe Lueb

Es hupt, brummt und stinkt in Istanbul – fast unentwegt. In der Stadt herrscht immer viel Verkehr. Nur nachts und am Wochenende ist es manchmal besser. “Es ist furchtbar – alle sind unzufrieden damit. Es dauert Stunden, bis man irgendwo ankommt”, sagt eine Frau im Sender LiderTV. “Reine Zeitverschwendung!”

Tatsächlich hat die andauernde Verkehrsbelastung der Stadt zu zweifelhaftem Ruhm verholfen. Sie ist Stau-Hauptstadt der Welt, und das schon zum zweiten Mal in Folge. So hat es Inrix ermittelt, ein US-amerikanisches Technik-Unternehmen, das weltweit Verkehrsdaten analysiert.

Fünf Tage im Jahr nur im Stau

Danach sitzen Autofahrerinnen und Autofahrer in Istanbul pro Jahr im Durchschnitt 118 Stunden im Auto fest – umgerechnet sind das fünf vergeudete Tage, fast doppelt so viele wie in Deutschlands Stau-Hauptstadt Köln. Es nervt, sagt ein Istanbuler: “Für eine Strecke, die man eigentlich in fünf Minuten fährt, braucht man länger als eine Dreiviertelstunde.”

Mustafa Ilıcalı, Professor für Verkehrswesen in Istanbul, kennt die Inrix-Studie. Von Verkehrskollaps möchte er zwar nicht sprechen. Aber dass in Istanbul nicht mehr viel geht, beziehungsweise fährt, untermauert er im ARD-Interview mit Zahlen wie diesen: “Die Geschwindigkeit ist auf weniger als zehn Kilometer pro Stunde gesunken”, sagt er. “Sinkt sie weiter auf fünf, ist das Schrittgeschwindigkeit – also fast Stillstand.”

Laufen ist manchmal schneller

Dabei geht es nicht nur darum, wie beschwerlich es ist, von A nach B zu kommen – und ob man womöglich, statt zu fahren, lieber direkt läuft. Das Istanbuler Verkehrschaos ist auch ein großer wirtschaftlicher Schaden. Ilıcalı spricht von “sechseinhalb Milliarden Dollar: Durch den zusätzlich verbrannten Kraftstoff, den Geldwert der verlorenen Zeit und die Umweltverschmutzung.”

Längst hätte der öffentliche Nahverkehr weiter ausgebaut werden müssen, meint Ilıcalı. Zwar ist das U-Bahn-Netz binnen weniger Jahre rasant gewachsen. Und es gibt sogenannte Metrobusse mit eigenen Spuren sowie die Schnellbahn Marmaray, die unter dem Marmarameer hindurch die europäische und asiatische Seite der Stadt verbindet.

Ausbau des Nahverkehrs hinkt hinterher

Dass Istanbul eine Stadt auf zwei Erdteilen ist, getrennt von Bosporus und Marmarameer, ist zwar eine verkehrstechnische Herausforderung. Doch insgesamt, so Ilıcalı, hinke der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs dem Wachstum der Stadt hinterher.

Dabei sind die Öffentlichen für den Verkehrsexperten die zentrale Lösung des Problems. Man sehe das zum Beispiel in deutschen Städten, sagt er. Fast jeder besitze dort ein Auto, viele seien aber trotzdem mit Bus und Bahn unterwegs.

Das Angebot müsse einfach attraktiv genug sein – und das sei es in Istanbul noch nicht: “Weil Kapazität, Komfort und Sicherheit im öffentlichen Verkehr nicht ausreichen. Da sagen sich die Menschen: Was soll’s? Dann fahre ich lieber mit meinem eigenen Auto, sitze bequem und höre Radio.”

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