Der Hurrikan “Melissa” könnte der stärkste je auf Jamaika registrierte Sturm werden. Für Teile des Landes wurden Evakuierungen angeordnet. Schon jetzt sind Ausläufer zu spüren: Viele Menschen sind ohne Strom.
Jamaika wappnet sich für den wahrscheinlich schwersten Hurrikan, der den Karibikstaat je direkt getroffen hat. Ursprünglich sollte “Melissa” mit der höchsten Hurrikan-Stärke 5 am frühen Dienstagmorgen (Ortszeit) die Küste erreichen, nach mitteleuropäischer Zeit also im Laufe des Vormittags. Der Sturm zieht jedoch langsam voran und wird später auf Land treffen als zunächst erwartet.
Obwohl im Innern des Sturms anhaltende Windgeschwindigkeiten von 280 Kilometer pro Stunde gemessen würden, bewege er sich mit nur sieben Kilometern pro Stunde vorwärts, teilte das US-Hurrikanzentrum NHC mit. “Der Begriff, den ich verwenden möchte, ist psychologischer Marathon”, sagte Michael Taylor, Klimawissenschaftler und Professor an der University of the West Indies in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston, dem US-Sender CNN. “Schon bevor der Sturm kam, waren wir erschöpft.”
Da der Hurrikan sich so langsam bewege, werde er sehr viel Regen mit sich bringen. Auch die Gefahr von Sturmfluten und Erdrutschen sei größer – insbesondere, weil das Landesinnere Jamaikas bergig sei.
“Verheerende Katastrophe”
“Ein Sturm der Kategorie 5 wäre eine verheerende Katastrophe”, sagte Regierungschef Andrew Holness. In einem Interview mit dem Sender CNN erklärte er, dass er nicht glaube, “dass es in dieser Region irgendeine Infrastruktur gibt, die einem Sturm der Stufe 5 standhalten könnte.” Man habe aber alles getan, was man könne, um sich auf “Melissa” vorzubereiten.
Schon vor seinem Eintreffen sorgte der Sturm auf Jamaika für große Schäden. Die Behörden meldeten Erdrutsche, umgeknickte Bäume und Stromausfälle. Bewohner verschanzten sich in Notunterkünften und in ihren Häusern und harrten die Nacht über in bangem Warten aus.
Das Rote Kreuz warnte vor “möglicherweise beispiellosen Folgen” für das Land mit 2,8 Millionen Einwohnern, weil der Inselstaat noch nie zuvor von einem Wirbelsturm solcher Stärke getroffen worden sei.
Warnung vor Sturmfluten und Erdstürzen
Das Sturmsystem befand sich gestern Abend rund 245 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Kingston, wie das NHC mitteilte. Laut dem jamaikanischen Wetterdienst soll der Sturm im Südwesten der Insel zwischen den Bezirken Westmoreland und Saint Elizabeth auf Land treffen.
Wenn der Hurrikan Jamaika erreicht, rechnen die Meteorologen des NHC an der Südküste mit vereinzelt bis zu vier Meter hohen Sturmfluten. Wegen des zu erwarteten starken Regenfalls auf der Insel ist demnach zudem mit “katastrophalen Überschwemmungen” und zahlreichen Erdrutschen zu rechnen.
Für Jamaika, die östlichen kubanischen Provinzen Granma, Santiago de Cuba, Guantánamo und Holguín sowie für Teile der Bahamas wurde eine Hurrikan-Warnung herausgegeben. Für die Turks- und Caicosinseln gilt eine Vorwarnung.
Evakuierungen in mehreren Ortschaften
Jamaikas Regierungschef ordnete Evakuierungen für mehrere Ortschaften an und rief die gesamte Bevölkerung dazu auf, möglichst zu Hause zu bleiben und den Anweisungen der Behörden zu folgen. Der Flughafen von Kingston wurde geschlossen.
In einem in einer Schule eingerichteten Schutzraum werden Mahlzeiten zubereitet.
Auch in Kuba und auf den Bahamas bereiteten sich die Behörden darauf vor, Tausende Menschen aus den besonders gefährdeten Regionen in Sicherheit zu bringen.
Der Hurrikan hatte sich in den vergangenen Tagen über der Karibik zu einem extrem gefährlichen Hurrikan entwickelt. Langsam ziehende Hurrikans gelten als besonders zerstörerisch, weil sie länger über einer Region verweilen. “Ein langsames Tempo bedeutet, dass Gemeinden tagelang statt nur stundenlang unerbittlichen Starkregen ertragen müssen”, teilte die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung mit.
Manche bleiben trotz Warnung
Einige Menschen in Jamaika trotzten jedoch den Evakuierungsaufforderungen. “Ich gehe nicht weg”, sagte Roy Brown aus Port Royal der Nachrichtenagentur AFP. “Ich glaube nicht, dass ich vor dem Tod weglaufen kann.”
Er verwies auf schlechte Erfahrungen mit den staatlichen Hurrikan-Schutzunterkünften in der Vergangenheit. Die Fischerin Jennifer Ramdial teilte die Ansicht und sagte: “Ich will einfach nicht weg.”
Schon jetzt Tausende Menschen ohne Strom
Vor Erreichen des Festlandes sorgte “Melissa” bereits für Stromausfälle, nachdem umstürzende Bäume Stromleitungen beschädigt hatten. Mehr als 50.000 Anschlüsse waren nach Angaben des Energieministeriums ohne Elektrizität.
Beim Fällen von Bäumen zur Vorbereitungen auf den Hurrikan kamen in den vergangenen Tagen auf Jamaika drei Menschen ums Leben, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. In Haiti und der Dominikanischen Republik starben nach heftigen Regenfällen mindestens vier Menschen.
Jenny Barke, ARD Mexiko-Stadt, tagesschau, 27.10.2025 17:34 Uhr
