Merz in der Türkei – Bleiben kritische Töne auf der Strecke?

Merz in der Türkei – Bleiben kritische Töne auf der Strecke?

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, M) geht neben seiner Frau Charlotte zu einem Flugzeug der Flugbereitschaft, um in die Türkei zu fliegen.

Stand: 29.10.2025 16:14 Uhr

Sicherheitspolitik, Migration, Handel – die Liste der Themen für das Treffen von Kanzler Merz mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan ist lang. Menschenrechtler und Experten sind besorgt, dass kritische Töne unter den Tisch fallen könnten.

Die Agenda für die Gespräche von Friedrich Merz und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am morgigen Donnerstag ist lang. Trotzdem wächst bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) im Vorfeld des Treffens die Sorge, dass mahnende Worte des Kanzlers ausbleiben könnten – angesichts der internationalen Sicherheitslage und auch politischer Zielsetzungen der schwarz-roten Koalition.

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa drängte Emma Sinclair-Webb, Türkei-Vertreterin von HRW, darauf, dass Merz bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei auch in Bezug auf den dortigen Umgang mit Menschenrechten klare Position beziehen müsse. “Dieses Jahr haben wir den schwersten Angriff auf die türkische Demokratie erlebt”, betonte Sinclair-Webb.

Massenfestnahmen von Oppositionspolitikern

Sie führte in diesem Zusammenhang vor allem das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die CHP, die größte Oppositionspartei des Landes, an. In den vergangenen Monaten waren zahlreiche Mitglieder der Partei festgenommen worden, gegen viele Inhaber politischer Ämter wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Der prominenteste Fall ist der des im März verhafteten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu. Er gilt als der größte Rivale von Erdoğan und wurde bis zu seiner Festnahme als voraussichtlicher Herausforderer bei der nächsten Präsidentenwahl gehandelt. İmamoğlus Festnahme hatte die größte Protestwelle in der Türkei seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 ausgelöst.

Doch Sinclair-Webb prangerte weitere mutmaßliche Verstöße der Türkei gegen Menschenrechte an: Repressalien gegen Medien sowie die Diskriminierung von LGBTQ-Personen. So habe die türkische Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Freiheitsstrafen für Menschen vorsieht, “die eine Haltung oder ein Verhalten zeigen, das dem angeborenen biologischen Geschlecht und der allgemeinen Moral widerspricht”, heißt es von Human Rights Watch. Das Vorhaben würde den Weg für strafrechtliche Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen ebnen, was einen “der besorgniserregendsten Rückschritte von Menschenrechten seit Jahrzehnten” bedeuten würde, warnt die Organisation.

Sicherheitsfragen im Fokus

Auch Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft und Politik äußerte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP de Vermutung, dass Merz es wohl vermeiden werde, die innenpolitische Lage in der Türkei im Gespräch mit deren Präsidenten anzusprechen. Für beide Seiten dürfte “die Sicherheitsfrage” bei dem Treffen im Fokus stehen. Also der Krieg in der Ukraine. Oder wie die Waffenruhe im Gazastreifen gesichert und dessen Wiederaufbau vorangebracht werden könnte.

Aber auch die Bestrebungen Deutschlands, die eigene Verteidigungsfähigkeit auszubauen, dürften bei dem Treffen eine Rolle spielen. Und in diesem Zusammenhang mögliche Rüstungskooperationen mit der Türkei. Eine Kooperation, von der auch Erdoğans Regierung profitiert. Bereits im Juli hatte die Bundesregierung den Export von 40 Eurofightern in die Türkei genehmigt. Die Ampelkoalition hatte das noch abgelehnt – unter Verweis auf die Festnahme von İmamoğlu.

Als EU-Beitrittskandidat würde die Türkei zudem gern Teil des jüngst aufgelegten EU-Programms “Safe” werden, das bis zu 150 Milliarden Euro für gemeinsame Rüstungsbeschaffung bereitstellt. Allerdings scheitern diese Bestrebungen vor allem an der Blockade Griechenlands, das sich seit Jahrzehnten mit der Türkei im Konflikt um Gebietsansprüche auf Zypern befindet. Merz könnte hier eine potenzielle Vermittlerrolle einnehmen – zugunsten der Türkei.

Abhängigkeiten in Sachen Migrationspolitik

Neben sicherheitspolitischen Fragen könnte die Reise des Bundeskanzlers nach Auffassung des SPD-Politikers Serdar Yüksel “wichtig und richtig, aber schwierig” werden. Und zwar aufgrund der Migrationspolitik der Bundesregierung. Bei der spiele die Türkei “eine entscheidende Rolle und leistet etwa durch die Aufnahme von Millionen syrischer Flüchtlinge eine enorme humanitäre Arbeit”, betonte Yüksel, Vorsitzender der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zufolge ist die Türkei derzeit “das Herkunftsland mit der höchsten Zahl Ausreisepflichtiger in Deutschland”. Ende September traf das auf etwa 22.560 Personen in der Bundesrepublik zu. Etwa 1.600 türkische Staatsbürger sind seit Jahresbeginn in ihre Heimat abgeschoben worden.

Neben der Bereitschaft, aus Deutschland abgeschobene eigene Staatsbürger aufzunehmen, könnten auch die guten Kontakte der Türkei zur syrischen Übergangsregierung nach dem Sturz des dortigen Machthabers Baschar al-Assad eine Rolle spielen. Immerhin hat sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt eine zügige Einigung mit Syrien über Abschiebungen aus Deutschland zum Ziel gesetzt.

Doch um zu einem verlässlichen Partner zu werden, müsse die Türkei “Rechtsstaatsprinzipien einhalten und die Willkürjustiz beenden”, forderte Yüksel. Darum müssten Verstöße wie die Inhaftierung İmamoğlus von Kanzler Merz deutlich an- und ausgesprochen werden.

Comments

No comments yet. Why don’t you start the discussion?

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *