Bei Blutkrebs wird Gentherapie schon erfolgreich eingesetzt – jetzt gibt es auch Hoffnungen bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose: Bei einigen Patienten konnten die Entzündungen gestoppt werden.
CAR-T-Zellen – hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich eine Zelltherapie, die bisher vor allem gegen Blutkrebsarten eingesetzt wird. Dabei werden die eigenen Immunzellen, die sogenannten T-Zellen, der Betroffenen entnommen und genetisch so verändert, dass sie eine bestimmte Art von Blutzellen erkennen: Die sogenannten B-Zellen, die sich zu bösartigen Tumoren verwandeln können.
Intensiv wird aktuell erforscht, wie man Zelltherapien wie CAR-T-Zellen auch gegen andere Krebsformen einsetzen kann – zum Beispiel gegen solide Tumore wie bei Magenkrebs.
Doch CAR-T-Zellen sind für die Forschung auch unabhängig von Krebserkrankungen interessant: Für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen. Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass diese Immuntherapie auch bei Autoimmunerkrankungen wirken könnte. Denn auch hier sind zum Teil fehlgeleitete B-Zellen der Auslöser für die Erkrankung.
Bei Autoimmunerkrankungen werden sie zwar nicht zu Tumoren, doch sie senden Antikörper aus, die sich bei einer Autoimmunerkrankung gegen den eigenen Körper richten. Statt Krankheitserreger greifen sie gesunde Zellen an – mit teils fatalen Folgen.
Aktuell sind es nur wenige Patienten, die für eine sogenannte CAR-T-Zell-Therapie gegen ihre Autoimmunerkrankung in Frage kommen. In Rahmen von Studien und individuellen Heilversuchen erhalten schwer erkrankte Menschen diese Zelltherapie.
Experimentelle Therapie
Einer davon ist Stefan Tenoth. Vor 24 Jahren erhielt er die Diagnose Multiple Sklerose – bereits zehn Jahre zuvor hatte er die ersten Symptome. Ein komplett selbständiges Leben kann er schon lange nicht mehr führen. Die Autoimmunerkrankung greift seinen Körper an. Die Bewegungen der Beine wurden mit der Zeit schwerer, schließlich brauchte er einen Rollstuhl. Dann kamen auch die Hände dazu.
“Es ist ein ständiger Verlust von Selbstständigkeit und von Dingen, die man gerne macht”, so der 52-jährige. Im Sommer 2024 sah er dann einen Beitrag im SWR-Fernsehen, in dem eine neue, noch experimentelle Therapie-Art gegen Autoimmunerkrankungen vorgestellt wurde: CAR-T-Zellen. Noch am selben Abend schrieb er eine E-Mail an die beteiligte Uniklinik Tübingen.
Immuntherapie will krankmachende Antikörper verhindern
Dort wurde sein Fall von einem interdisziplinären Team aus Fachleuten beurteilt. Anfangs waren die noch zurückhaltend, erinnert sich Antje Giede-Jeppe, Neurologin an der Uniklinik Tübingen. “Er ist nicht mehr ganz jung und hat auch einige Vorerkrankungen, die wir sehr gründlich abgeklärt haben. Da waren wir am Anfang erstmal sehr vorsichtig.”
Schließlich kam die Zusage: Tenoth erhielt im Januar an der Uniklinik Tübingen eine CAR-T-Zell-Therapie. Bei der Immuntherapie werden bestimmte Immunzellen aus dem Blut der Patienten genetisch so verändert, dass sie B-Zellen im Blut zerstören können. Verschwinden die B-Zellen, verschwinden auch die fehlgeleiteten Antikörper – das ist die Hoffnung.
Erste Ergebnisse machen Hoffnung
Die ersten Erfolge mit CAR-T-Zellen gegen Autoimmunerkrankungen erzielten Forschende der Uniklinik Erlangen bei Patientinnen mit der seltenen Erkrankung Lupus. Zum Teil brauchten diese in den Jahren nach der CAR-T-Zell-Therapie keine anderen Behandlungen mehr.
Bei Patienten mit Multipler Sklerose kann man so einen beeindruckenden Effekt eher nicht erwarten, sagt Manuel Friese, Neurologe am Uniklinikum in Hamburg (UKE). Auch er hat bereits mehreren Patienten mit Multipler Sklerose CAR-T-Zellen verabreicht. “Im Gegensatz zu vielen anderen Autoimmunerkrankungen ist es so, dass das Nervensystem durch die zurückliegenden Entzündungen meist schon irreversibel geschädigt wurde”, so der Neurologe.
Lebendige Zellen können mehr als bisherige Therapien
Man könne also keinen sofort sichtbaren Nutzen erwarten – das sei bei allen Therapien der Fall, die zur Behandlung von Multipler Sklerose angewendet werden. “Das Ziel ist es, dass wir weitere Schädigung abwenden.”
Auch bei Tenoth wurden schon andere Therapien angewendet, die versuchen, die krankmachenden B-Zellen zu eliminieren. Allerdings ohne langfristigen Erfolg. Denn bei der Multiplen Sklerose wandern B-Zellen ins Gehirn und Rückenmark, hier können sie von einigen Medikamenten nicht mehr erreicht werden. Sie bleiben dort und richten über eine lange Zeit kontinuierlichen Schaden an.
Hier haben CAR-T-Zellen im Vergleich zu anderen Therapien einen Vorteil, so der Neurologe Friese vom UKE in Hamburg: “Es ist ja eine lebende Zelle, die man gibt und die hat ganz andere Möglichkeiten.” Sie könne zum Beispiel in das Gehirn übertreten und dort die Ziele finden, auf die sie programmiert wurde – in diesem Fall die krankmachenden B-Zellen.
Teure Therapie – großer Nutzen?
Größere Untersuchungen sollen diesen Effekt weiter erforschen. An verschiedenen Einrichtungen, zum Beispiel am UKE Hamburg, aber auch an der Uniklinik Tübingen laufen aktuell weitere, größere Studien zu CAR-T-Zellen bei Autoimmunerkrankungen.
In Tübingen können die Forschenden diese Zelltherapien selbst im Labor herstellen, das macht sie auch günstiger. Doch auch bei einer Herstellung vor Ort rechnen Fachleute aktuell noch mit einem Preis von etwa 150.000 Euro. Viel Geld – jedoch sei auch die normale Behandlung von MS-Patienten teuer, betont die Neurologin Giede-Jeppe von der Uniklinik Tübingen
Häufig müssten Betroffene über sehr viele Jahre therapeutisch behandelt und auch versorgt werden. Sie brauchen Physio- und Ergotherapie, teils wird die Versorgung durch Pflegedienste oder sogar die Unterbringung in einem Pflegeheim notwendig.
Stabiler Befund: Großer Erfolg für Patienten
Für Tenoth hat sich der Aufwand gelohnt. Fünf Monate nach der Behandlung kam die entscheidende MRT-Untersuchung mit einem positiven Befund: “Sämtliche Entzündungen und vor allem die Entzündung in meiner Halswirbelsäule waren komplett weg. Das war unglaublich.”
Einen solchen Effekt habe bei ihm noch kein anderes Medikament gezeigt. Klar ist aber auch: Verbessern wird sich sein Zustand vermutlich nicht. Dafür sind die Schäden durch die Multiple Sklerose schon zu groß. Tenoth wird weiterhin auf Hilfe angewiesen sein. Aber hoffentlich kann er jetzt die Beweglichkeit in seinen Armen und Händen behalten. Für seine Lebensqualität wäre das ein großer Gewinn.

