Hunderte Afghanen hoffen weiter auf Ausreise

Hunderte Afghanen hoffen weiter auf Ausreise

 Afghanische Familien warten am Flughafen in Islamabad auf ihre Ausreise nach Deutschland

Stand: 31.12.2025 11:09 Uhr

Hunderte Afghanen warten in Pakistan seit Monaten auf ihre Ausreise nach Deutschland. Die Zeit drängt: Pakistan hat der Bundesregierung bis zum Jahresende eine Frist gesetzt.

Franziska Amler

Nur noch wenige Stunden bis Mitternacht. Für Zahir ist es kein Jahreswechsel wie jeder andere. In einem einfachen Zimmer in Peschawar sitzt der afghanische Vater mit seiner Familie zwischen gepackten Taschen. Die Stadt liegt im Nordwesten Pakistans, nahe der Grenze zu Afghanistan.

Die Koffer stehen bereit – nicht für die Reise nach Deutschland, sondern für den Fall der Abschiebung. Zahir heißt eigentlich anders. Aus Angst nennt er seinen richtigen Namen lieber nicht. Er steht auf, holt einen Ordner und zeigt ihn in die Kamera: Dokumente, Anträge, Formulare. Daneben liegen die Medikamente seines schwer krebskranken Vaters. Seine Schwester sitzt im Rollstuhl. Alles, was von der Hoffnung auf ein neues Leben geblieben ist, passt in dieses Zimmer.

Das alte Leben aufgegegeben

“Als ich die Zusage bekam, war ich voller Hoffnung. Ich glaubte fest, meine Zukunft liege in Deutschland”, sagt Zahir. “Dafür habe ich alles verkauft, was ich mir in fünfzehn Jahren aufgebaut hatte, und mein gesamtes Geld in Pass, Visum und Flugtickets gesteckt. Nach zwei Jahren Warten in Pakistan ist davon nichts mehr übrig. Ich habe alles aufgegeben – und stehe jetzt mit nichts da.”

Zahir ist Betriebswirt und Mitgründer einer afghanischen Menschenrechtsorganisation, die sich insbesondere für Frauenrechte einsetzt. Seit mehr als 18 Monaten wartet er mit seiner Familie in Pakistan auf die Ausreise nach Deutschland – bislang vergeblich. Eine Abschiebung nach Afghanistan wäre für sie eine Katastrophe.

Eine einfache Botschaft

Zahir selbst hat diese Erfahrung bereits gemacht: Er wurde schon einmal abgeschoben – und später wieder zurückgebracht. Eine Odyssee, die tiefe Spuren hinterlassen hat. Hinter ihnen liegen zwei Jahre voller Schmerz, so seine Frau.

“Meine Botschaft an die deutschen Behörden ist einfach: Wir sind mit Hoffnung zu Ihnen gekommen, weil Sie uns eingeladen haben und uns eine Zusage gegeben wurde”, sagt sie. “Unser Vertrauen in dieses Versprechen lag bei tausend Prozent. Wir haben Ihnen geglaubt – und bitten Sie jetzt, dieses Vertrauen einzulösen.”

Aufnahmeprogramme beendet, keine neuen geplant

Nach der erneuten Machtübernahme der Taliban vor mehr als vier Jahren hatte die Bundesregierung Menschen wie Zahir eine Aufnahme versprochen, weil sie als besonders gefährdet gelten. Doch inzwischen hat sich der politische Kurs in Berlin geändert: Die neue Bundesregierung will freiwillige Bundesaufnahmeprogramme so weit wie möglich beenden – und keine neuen mehr auflegen.

Zwar kündigte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt vor wenigen Tagen an, 535 Afghaninnen und Afghanen aus Pakistan nach Deutschland zu holen. Darunter ehemalige Ortskräfte – etwa Menschen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben – sowie Teilnehmende des Bundesaufnahmeprogramms.
Dennoch entzog die Bundesregierung Hunderten weiteren Afghaninnen und Afghanen ihre Aufnahmezusagen – auch Zahir.

“Wir stehen alle unter Schock”

Die Begründung: Es bestehe “kein politisches Interesse zur Aufnahme” mehr. Erfahren hat Zahir davon nicht durch einen Anruf, nicht durch ein Gespräch – sondern durch eine E-Mail. “Seit mehr als einer Woche hört man bei uns zu Hause nur noch Weinen. Meine Kinder fragen immer wieder: ‘Was passiert jetzt mit uns? Wohin sollen wir gehen?’ – und ich habe keine Antwort”, sagt er.

“Wir stehen alle unter Schock, sind wie gelähmt.” Diese eine E-Mail habe seine Kinder tief verletzt. “Als Vater ist es kaum auszuhalten, ihnen in die Augen zu sehen und nichts sagen zu können. Wir haben der deutschen Bundesregierung voll vertraut und unsere gesamte Zukunft darauf aufgebaut – und jetzt bleiben uns nur noch Fragen.”

Betroffen sind vor allem Angehörige der afghanischen Zivilgesellschaft: ehemalige Richter und Staatsanwälte, Journalistinnen sowie Frauenrechtsaktivistinnen. Sie hatten ihre Zusagen über die sogenannte “Menschenrechtsliste” und die Überbrückungsliste erhalten – zwei weitere Aufnahmeprogramme. Ob auch sie rechtlich bindend sind, lässt die Nichtregierungsorganisation Kabul Luftbrücke, die einige der Afghanen vor Ort unterstützt, derzeit juristisch prüfen.

Viele geraten in Lebensgefahr

Dabei ist Afghanistan auch mehr als vier Jahre nach dem Machtwechsel ein Land in der Krise: Fast die Hälfte der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen, Millionen Menschen droht Hunger. Internationale Hilfen wurden drastisch gekürzt, die Wirtschaft liegt am Boden.

Für viele der nun Abzuschiebenden wäre eine Rückkehr nicht nur existenzbedrohend – sie könnte lebensgefährlich sein, sagt Eva Beyer von der Initiative Kabul Luftbrücke. “Pakistan hat schon wiederholt Fristen gesetzt und dies im Sommer auch sehr deutlich gemacht mit der Massenverhaftung, die wir gesehen haben im August. Da wurden innerhalb von wenigen Tagen über 600 Menschen verhaftet, 250 abgeschoben”, berichtet Beyer.

Diese Frist sei ernst zu nehmen. “Was den einzelnen Menschen dann passiert, ist, glaube ich, individuell sehr unterschiedlich, aber es sind Menschen dabei, mit denen wir auch Kontakt haben, wo wir wissen, dass sie das nicht überleben werden.”

“Ein Ort, an dem es keine Freiheit gibt”

Auch Zahir fürchtet um seine Sicherheit. Ein Angebot aus Berlin, gegen Geld auf seine Aufnahmezusage zu verzichten, lehnte er ab. Und seine Frau sagt: “Es ist zwar mein Land, aber wie soll ich an einen Ort zurückkehren, an dem es keine Freiheit gibt? Wir haben keine Stimme, kein Wahlrecht, nicht einmal das Recht, einfach zu leben.”

Ihre Tochter dürfe nicht zur Schule gehen, sie selbst nicht arbeiten. “Ich bin eine gebildete Frau mit Träumen – doch ich darf meine Fähigkeiten nicht nutzen. Wie soll man an einen Ort zurückkehren, der von einem verlangt, aufzuhören zu existieren?”

Lässt es die Bundesregierung “drauf ankommen”?

Der letzte Charterflug in diesem Jahr landete am 22. Dezember in Hannover – mit 147 Menschen an Bord. Fast alle hatten ihre Einreise nach Deutschland erfolgreich eingeklagt. Die Erfolgsquote sei hoch: Rund 70 Prozent der abgeschlossenen Klageverfahren hätten sie gewonnen, erklärt Eva Beyer.

Das zeigt, dass die Bundesregierung sich nicht an ihr eigenes Wort und die eigenen Gesetze hält und es eben einfach mal darauf ankommen lässt, um zu gucken, ob sie damit durchkommt. Und das finde ich verwerflich.” 

Eva Beyer, Initiative Kabul Luftbrücke

Nach Angaben der Initiative warten in Pakistan insgesamt noch knapp 1.500 Afghaninnen und Afghanen auf ihre Ausreise. Laut Bundesregierung sind derzeit noch 230 Eilverfahren anhängig – für diese Menschen besteht zumindest noch Hoffnung, Deutschland zu erreichen. Für Familien wie die von Zahir sieht es düster aus. Hält Pakistan an seiner Frist fest, droht ihnen ab morgen die Abschiebung nach Afghanistan. Wie es dann für sie weitergeht, ist völlig offen.

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