Mit sogenannten Medizinboxen tritt eine französische Firma dem Ärztemangel entgegen. Patienten können sich in den Containern selbst untersuchen, während der Arzt per Video zugeschaltet ist. Ärzteverbände sehen das Modell kritisch.
Außen Baucontainer, innen eine Art Selbstbedienungs-Arztpraxis mit Stethoskop, Blutdruckmessgerät und Ohrenspiegel. Die Patienten benutzen die Geräte selbst – unter Aufsicht eines Arztes, der per Webcam zugeschaltet ist.
Dominique Tournatory brauchte wegen Rückenproblemen schnell einen medizinischen Rat und hat sich deshalb einen Termin in der Medizinbox gebucht. Er ist von dem Konzept begeistert: “Ich habe einen Code zugeschickt bekommen, um in die Box zu gelangen und konnte dann mit einem Arzt sprechen, der mich wirklich gut beraten hat”, erzählt der 63-Jährige. “Ich fand das sehr praktisch – und vor allem ging es sehr schnell.”
Nahezu flächendeckender Versorgungsmangel
Schnell kommen die 880 Einwohner von Saint-Georges-Motel, eine gute Autostunde nordwestlich von Paris, sonst nicht an Termine. Denn Ärzte seien rar in der Umgebung, erklärt der parteilose Bürgermeister, Jean-Louis Guirlin. “In den 14 umliegenden Gemeinden hat jeder Arzt im Schnitt 1.600 Patientinnen und Patienten”, so Guirlin. “Es gibt auch eine exzellente Ärztin, fünf Kilometer von hier – sie hat mehr als 2.200 Patienten.”
Die Gegend gilt als “désert médical”, als “medizinische Versorgungswüste”. So werden in Frankreich Gebiete genannt, in denen die medizinische Versorgung als unzureichend gilt, weil es zu wenig niedergelassene Ärzte gibt. Die Einstufung basiert auf einer komplexen Berechnung und hängt unter anderem von der Anzahl der Ärzte pro Einwohner oder dem durchschnittlichen Alter der Bevölkerung ab.
Knapp 90 Prozent des Landes gelten als “désert médical”, schreibt das französische Gesundheitsministerium auf seiner Internetseite. Gut sechs Millionen Menschen in Frankreich haben demnach außerdem keinen Hausarzt.
Medizincontainer als mögliche Lösung
Die Medizinboxen sollen das Problem zumindest abmildern. Sébastien Touchais ist Betriebsleiter bei La Box Médicale, der Firma, die die Container herstellt.
Die Technik erlaube es, den zeitlichen Abstand zwischen dem Auftreten eines Problems und dem Start der Behandlung zu verringern, argumentiert Touchais – und könne für bessere Prävention sorgen. “Wir müssen nicht unbedingt mehr Ärzte ausbilden und die dann überall hinsetzen”, findet Touchais. “Wenn die Technik uns erlaubt, gesundheitliche Probleme früh und schnell zu entdecken – dann müssen wir das nutzen.”
Noch könnten die Patienten in der Box in erster Linie Allgemeinmediziner und -medizinerinnen konsultieren, sagt Sébastien Touchais. Ziel des Unternehmens sei aber, in Zukunft sogar Termine bei Psychologen anzubieten.
Ärzteverbände sehen das Modell kritisch
Video-Call im Container statt Gespräch in der Praxis – nicht alle Ärzte finden diese Entwicklung richtig. Generell verändere die Telemedizin das Verhältnis von Arzt und Patienten grundlegend, schrieb die Fédération des Médecins de France Anfang Januar in einer Stellungnahme. Außerdem seien vertiefte Untersuchungen auf Distanz nicht möglich, was eine effiziente Behandlung bei manchen Krankheitsbildern erschwere.
Zudem warnen Ärzte, dass eine Behandlung nicht ganzheitlich sein könne, wenn die Patienten in der Box immer andere Mediziner vor sich hätten. Sébastien Touchais von La Box Médicale weist diese Kritik zurück: “Wenn Sie heute in ein Gesundheitszentrum gehen – dann ist auch nicht sicher, dass Sie immer denselben Arzt sehen”, so Touchais.
Bei Videosprechstunden sei das umgekehrt: Hier gebe es eine Patientendatei, auf die jeder beratende Mediziner zugreifen könne.
Versorgungswüsten sind ein politisches Dauerthema
Der Kampf gegen die “medizinischen Versorgungswüsten” ist in Frankreich ein politisches Dauerthema. Regierungschef Sébastien Lecornu hatte im September angekündigt, dass es bis 2027 für alle Franzosen ein Versorgungsangebot im Umkreis von maximal 30 Minuten geben solle. Auch sein Vorgänger François Bayrou hatte im Frühjahr ein Maßnahmenpaket vorgestellt: So sollten etwa Ärzte auf freiwilliger Basis an zwei Tagen pro Woche Sprechstunden in einem “désert médical” anbieten.
Aber sind die Medizinboxen nicht auch eine Art Eingeständnis, dass solche Maßnahmen nicht funktionieren – oder jedenfalls nicht schnell genug? Kann man so sehen, sagt Betriebsleiter Touchais von La Box Médicale. Er betont aber, dass auch viele kleine Lösungen am Ende die Versorgungslage verbessern könnten: “Wenn zu den Medizinboxen noch mobile Versorgungsbusse hinzukommen, die ‘Gesundheitshäuser’, die die Regierung plant und wir mehr Ärzte ausbilden oder neue Technologien nutzen, dann ist all das in Summe nützlich”, glaubt der Unternehmer.
In St.-Georges-Motel sei die Medizinbox zudem die günstigste Lösung gewesen, erklärt Bürgermeister Jean-Louis Guirlin. Dank der Zuschüsse aus dem Département kostet die Box seine Gemeinde bis 2029 jedes Jahr 6.000 Euro.
Medinzinboxen als Ergänzung – nicht als Ersatz für Ärzte
Die Medizinboxen sorgen nicht dafür, dass es mehr Ärzte in Frankreich gibt – oder dass sich mehr Ärzte in den so genannten Versorgungswüsten niederlassen. Doch sie können Abhilfe schaffen und den Menschen zumindest schneller Beratung bieten.
Auch Dorfbewohner Dominique Tournatory sieht die Box nicht als Ersatz für den Arzt, aber als eine gute Ergänzung. “Ich ziehe dieses System fast einem Gesundheitszentrum vor, denn wenn es so ein Zentrum gibt, sind die immer voll”, sagt Tournatory. “Bei der Box sieht man sofort die Termine und kann sich etwas aussuchen. Ich finde dieses System wirklich gut.”
Bis 2028 will das Unternehmen La Box Médicale 1.000 Medinzinboxen in ganz Frankreich aufstellen.

