Das Jahr endete für die EU mit einer Art Scheidungspapier. Mit Trumps neuer Sicherheitsdoktrin wenden sich die USA anderen Partnern zu – Europas Rechten und Rechtspopulisten. Für die EU ist das ein Schock.
Donald Trump ist noch nicht ein Jahr im Amt, aber von Brüssel aus gesehen ist das eine Ewigkeit. Eine Schockwelle nach der anderen hat die Europäer in Atem gehalten, wöchentlich kamen neue Zumutungen, Vorwürfe und dann wieder Kehrtwendungen.
Der Schock vom 4. Dezember war der vorläufige Höhepunkt, er dürfte der nachhaltigste sein. Ein Schock, der Europa ins Mark trifft.
Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA hält für die Alliierten einiges an Überraschungen bereit. China ist kein systemischer Rivale mehr, sondern nur noch wirtschaftlicher Konkurrent. Russland wird als Großmacht akzeptiert mit einem vielversprechenden Markt, der gerade bei den Rohstoffen einiges zu bieten hat. Und wenn es doch mal Konflikte mit dessen Präsident Wladimir Putin gibt, bietet Donald Trump sich als Vermittler an.
Und Nordkorea? Wird gar nicht mehr erwähnt. In Trumps erster Amtszeit war Kim Jong-un noch Staatsfeind Nummer 1.
Ein vernichtendes Urteil
Den radikalsten Bruch vollzieht die neue amerikanische Sicherheitsstrategie aber mit den Europäern. Die USA, das Land, das Europa unter großen Opfern vor mehr als 80 Jahren vom deutschen NS-Terror befreite, dann Schutzmacht des Kontinents wurde und insbesondere das Projekt der Europäischen Union stets unterstütze, wird jetzt ihr Feind.
Wie eine Anklageschrift lesen sich die Absätze, die der EU gewidmet sind. Es ergibt sich das Bild einer völlig heruntergekommenen EU, die kurz vor dem zivilisatorischen Zusammenbruch steht. Zersetzt durch Massenmigration, Unterdrückung der Opposition, niedrige Geburtenraten und Zensur.
“Niemand von uns sollte schockiert über die Worte sein, die andere über uns sagen”, empfahl Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zehn Tage nach dem Bekanntwerden der neuen Strategie. Absatz für Absatz zerlegte sie die Ansagen aus Washington. Europa behalte sich die Freiheit vor, selbst seine Gesetze zu machen – eine Absage an den amerikanischen Druck, die US-Tech-Konzerne möglichst ungehindert von europäischen Vorgaben schalten und walten zu lassen.
In Europa, so fuhr die Kommissionschefin fort, könne auch jeder wählen, “wen er wählen will”, ohne Druck oder Manipulation von außen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber von der Leyen machte klar, was aus ihrer Sicht auf dem Spiel steht: Die “Freiheit zu leben, wie wir es wollen”.
Ein Projekt gegen die USA?
Dass Amerikas Präsident die Europäische Union zutiefst verabscheut, hat er in einer seiner endlosen Pressekonferenzen klar ausgesprochen. “Die EU wurde gegründet”, so Trump im Sommer beim NATO-Gipfel in Den Haag, “um die USA zu zerstören”. Wobei es sich hier um eine vorsichtige Übersetzung handelt, die wörtliche würde unter die Gürtellinie zielen.
Den Handelsbilanzüberschuss der Europäer empfindet er als persönliche Kränkung: “Sie wollen unsere Autos nicht!” Drastische Zollaufschläge sind die Antwort, die EU soll geschwächt werden. Und er verunsichert durch immer neue Fragezeichen bei der militärischen Bündnistreue.
Neue Partner
Die nationale Sicherheitsstrategie vom 4. Dezember geht noch einen Schritt weiter. In der EU werde die Meinungsfreiheit zensiert und die Opposition unterdrückt. Gemeint sind rechte und rechtsextreme Parteien in der EU – sie sollen gestärkt werden. Deshalb hatte Vizepräsident JD Vance sich bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar nicht mit dem deutschen Bundeskanzler getroffen, sondern mit Alice Weidel, der AfD-Vorsitzenden.
“Das Netzwerk der rechtsextremen und rechtskonservativen Parteien in Europa mit der MAGA-Bewegung hat sich in den vergangenen vier Jahren verstetigt”, erklärt die deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel. Unterstützt würden Parteien, aber auch einzelne Politiker.
Gelder der Heritage-Foundation gingen beispielsweise an den britischen Rechtsaußen-Politiker Nigel Farage. “Das müssen wir jetzt im Kontext der Nationalen Sicherheitsstrategie für Kontinentaleuropa erwarten”, stellt Clüver Ashbrook fest. Rechte Parteien in Europa werden unterstützt – in Ungarn, wo sie schon an der Macht sind und in Ländern wie Deutschland, wo sie in der Opposition sind.
Zur direkten Unterstützung der Parteien kommt die Vernetzung über Medien, auch in Deutschland. Vor der Bundestagswahl lobte Elon Musk die AfD nicht nur auf seiner Plattform X, auch die zum Springer-Verlag gehörende Tageszeitung Welt druckte Musks Wahlaufruf für die AfD als Gastbeitrag ab.
Springer-Chef Matthias Döpfner schaltete sich persönlich nach der Veröffentlichung von Trumps neuer Sicherheitsstrategie ein. Europa solle auf Trump hören, schrieb Döpfner in einem Leitartikel in der Welt, ein Wort der Kritik findet sich in dem Leitartikel nicht.


