Ein Jahr nach Einsturz von Bahnhofsdach: Zehntausende gedenken der Opfer von Novi Sad

Ein Jahr nach Einsturz von Bahnhofsdach: Zehntausende gedenken der Opfer von Novi Sad

Menschen gedenken der Opfer von Novi Sad

Stand: 01.11.2025 14:59 Uhr

Ein eingestürztes Vordach begrub vor einem Jahr Menschen am Bahnhof von Novi Sad in Serbien unter sich. Als Ursache gelten Korruption und Schlamperei. Die ausgelöste Protestwelle setzt den autoritären Präsidenten Vucic unter Druck.

Ein Jahr nach dem Einsturz des Bahnhofdachs in der serbischen Stadt Novi Sad haben dort zehntausende Menschen der 16 Opfer des Unglücks gedacht.

Ab 11.52 Uhr, dem Zeitpunkt des Einsturzes am 1. November 2024, schwiegen die Trauernden 16 Minuten lang. Das Unglück hatte die größten Proteste im Land seit Jahrzehnten ausgelöst.

“Großer Schmerz und Trauer”

Entlang eines provisorischen Zauns in der Nähe des beschädigten Bahnhofseingangs legten Menschen Blumen nieder und entzündeten Kerzen. Die 45-jährige Svetlana sagte, dass sie “großen Schmerz und Trauer” empfinde.

Fußmarsch als Protestaktion

Seit Freitag waren Menschen aus dem ganzen Land nach Novi Sad gekommen, um an dem Gedenken teilzunehmen. Tausende von ihnen liefen zu Fuß aus der rund hundert Kilometer entfernten Hauptstadt Belgrad nach Novi Sad. Andere kamen sogar zu Fuß aus der etwa 340 Kilometer südlich von Belgrad gelegenen Stadt Novi Pazar – wofür sie im Gedenken an die 16 Opfer symbolische 16 Tage brauchten.

In Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens, waren beim Einsturz des Bahnhofsdachs zunächst 14 Menschen, unter ihnen zwei Kinder, getötet worden. Weitere zwei Menschen erlagen später ihren Verletzungen. Der Hauptbahnhof war erst im Juli 2024 nach jahrelangen Renovierungsarbeiten wieder voll in Betrieb gegangen.

Unglück löst Protestwelle aus

Die Proteste begannen knapp zwei Wochen nach dem Unglück von Novi Sad. Initiiert hatten sie Studierende, die ihre Universitäten besetzten und mit Straßenblockaden auf sich aufmerksam machten. Im Vordergrund hatten damals die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und Rechenschaftspflicht für die Regierenden gestanden.

Die beharrlichen Aktionen der Studentinnen und Studenten überzeugten immer mehr Bürger, die sich der Protestbewegung anschlossen. Seit einigen Monaten verlangt die Bewegung vorgezogene Neuwahlen.

Beobachter sprechen davon, dass es der Bewegung gelungen sei, eine bisher apathische Bevölkerung wachzurütteln. “Die Bewegung hat Serbien die Hoffnung zurückgegeben”, schrieb die unabhängige Wochenzeitung Vreme in einem Kommentar in ihrer jüngsten Ausgabe.

Vucic reagiert mit Repression

Präsident Vucic bestimmt seit 2012 in wechselnden Funktionen die Geschicke Serbiens. Die meisten Entscheidungen trifft er alleine. Die Renovierung des Bahnhofs von Novi Sad ist Teil des Neubaus der Eisenbahnlinie Belgrad-Budapest. Generalunternehmer sind chinesische Unternehmen. Für Vucic handelt es sich um ein Prestige-Objekt. Auf die Proteste reagierte er mit Polizeigewalt, Justizrepressionen und Desinformationskampagnen.

Während sich am Gedenktag auch in Belgrad wieder Demonstranten versammelten, nahmen Vucic und mehrere Minister an einer Zeremonie zum Jahrestags des Bahnhofs-Unglücks im Dom der Heiligen Sava teil. 

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Die serbische Staatsanwaltschaft hatte kurz nach dem Unglück Ermittlungen eingeleitet. Im September erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen 13 mutmaßliche Verantwortliche, darunter gegen den früheren Bauminister Goran Vesic. Die Anklage muss jedoch noch vom Gericht bestätigt werden, weshalb ein Prozess nicht stattfinden kann. 

Die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) ermittelt zudem wegen des möglichen Missbrauchs von EU-Geldern bei der Renovierung des Bahnhofs.

Clemens Verenkotte, ARD Wien, tagesschau, 01.11.2025 15:50 Uhr

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