Die Schweiz ist kein EU-Mitglied und nicht in der NATO, bisher gab sie für Verteidigung wenig aus. Doch angesichts des Ukraine-Kriegs sieht sich inzwischen auch das formal neutrale Land bedroht – und will aufrüsten.
Der scheidende Chef der Schweizer Streitkräfte, Thomas Süssli, spricht von einer Zeitenwende, die inzwischen auch sein Land erreicht habe. Sechs Jahre lang stand er an der Spitze der Schweizer Armee.
Zum Ende seiner Amtszeit zog er in mehreren Zeitungsinterviews eine nüchterne Bilanz: Er übergebe seinem Nachfolger eine Armee, “so, wie man sie vor 20 Jahren wollte”, sagte Süssli im öffentlich-rechtlichen Sender SRF. Für die Herausforderungen von heute reiche dieser Zustand jedoch nicht mehr aus.
Lange sei über die Zeitenwende gesprochen worden, nun sei sie auch in der Schweiz eingetreten. Süssli teilt die Einschätzung des Schweizer Nachrichtendienstes des Bundes, wonach sich das Land bereits in einem hybriden Konflikt befinde. “Wir sind nicht mehr im Frieden, aber auch noch nicht im Krieg”, sagt Süssli, das treffe inzwischen auch auf die Schweiz zu.
Sorge vor Eskalation in Osteuropa
Das Neun-Millionen-Einwohnerland liegt zwar mitten in Europa und ist eine der stärksten Volkswirtschaften des Kontinents, gibt aber bisher vergleichsweise wenig aus für die Verteidigung. Zuletzt investierte die Schweiz etwa 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ins Militär – also einen Bruchteil im Vergleich zu den umliegenden NATO- und EU-Staaten.
Verteidigungsminister Martin Pfister warnt vor falscher Sicherheit: “Eine Eskalation bis hin zu einem konventionellen Krieg in Osteuropa hätte auch gravierende Folgen für die Schweiz”, sagte der Christdemokrat Mitte Dezember. Deshalb solle das Verteidigungsbudget in den kommenden Jahren steigen. Diskutiert wird in der Schweiz inzwischen ein Wert von einem Prozent der Wirtschaftsleistung.
Verwundbar vor allem aus der Luft
Dass die Armee mehr Geld braucht, ist in der Schweizer Politik weitgehend Konsens. Umstritten ist jedoch, wie diese zusätzlichen Mittel finanziert werden sollen. Jakob Stark (SVP) hält jährliche Mehrausgaben von 600 bis 900 Millionen Schweizer Franken aus dem regulären Budget für machbar.
“Das ist drin”, sagt Stark im SRF. Wenn jedoch noch mehr Geld benötigt werde, lasse sich das nicht mehr über den regulären Staatshaushalt abdecken.
Verteidigungsminister Pfister brachte deshalb nach einem Bericht des Zürcher Tages-Anzeiger eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,5 Prozentpunkte ins Spiel. Besonders verwundbar sei die Schweiz bei Bedrohungen aus der Luft, betonte er Mitte Dezember.
Mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sagte Pfister: “Sollte sich der bewaffnete Konflikt in das nahe Umfeld der Schweiz ausweiten, müsste sie in erster Linie in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.”
Bedrohung im Umfeld nimmt zu
Eine Ausweitung des russischen Angriffskriegs in das “nahe Umfeld der Schweiz” – also bis nach Deutschland? Darüber wird in der Schweiz inzwischen offen diskutiert. Der bisherige Armeechef Thomas Süssli warnte Anfang Dezember, eine hybride Bedrohungslage könne eskalieren, bis hin zu einem umfassenden Angriff auf die Schweiz.
Auf die Nachfrage der SRF-Moderatorin, ob das bedeute, dass eines Tages Panzer am Rhein stehen könnten, relativiert Süssli: So müsse es nicht zwingend kommen. Entscheidend sei, dass das Bedrohungspotenzial im Umfeld der Schweiz insgesamt zunehme. Eine konkrete Angriffsabsicht sehe er derzeit zwar nicht. “Aber wer weiß schon, was in zehn oder fünfzehn Jahren ist”, sagt Süssli.

