Reportage
Vor 50 Jahren marschierte Marokko in die Westsahara ein. Durch gewaltige Investitionen versucht das Land, Fakten zu schaffen. Doch Diplomaten und Völkerrechtler warnen vor weltweiten Folgen einer Annexion.
Dakhla ist ein Phänomen. Eigentlich sollte der Ort für Touristen tabu sein, weil er auf völkerrechtlich umstrittenem Boden in der Westsahara liegt. Das Auswärtige Amt rät dringend von Reisen ab. Trotzdem wird Dakhla gerade zu einem internationalen Hotspot für Wassersportler. Dakhla erzählt viel über die Westsahara.
Younes Mafoud ist vor Kurzem aus Marrakesch hergezogen und leitet das Strandhotel Dakhla Club, direkt an der Lagune. Aus Sicht von Mafoud stehen seiner Branche in Dakhla goldene Zeiten bevor: “Alle großen internationalen Ketten werden hierherkommen. Ich glaube, dass Dakhla in zwei bis drei Jahren einen Tourismusboom erleben wird.”
Sogar, dass dort 2030 eines der Spiele der FIFA-WM der Männer ausgetragen werden könnte, kann er sich vorstellen. Für den Hoteldirektor ist die Westsahara selbstverständlich Teil seines Landes. Warum, sagt er, sollte dort nicht international Fußball gespielt werden?
Westsahara ist dünn besiedelt und besteht überwiegend aus Wüste. Doch die Region hat wertvolle Rohstoffe und hofft auch auf einen Tourismusboom.
Was wird aus dem UN-Mandat?
Nun will sich der UN-Sicherheitsrat wieder mit der Frage beschäftigen: Wem gehört die Westsahara? Das umstrittene Gebiet hat rund 600.000 Einwohner und ist etwa so groß wie der Rest Marokkos mit etwa 36 Millionen Einwohnern.
Die militärische Absicherung kostet Marokko seit Jahrzehnten viel Geld, während auf der algerischen Seite der Grenze Zehntausende Geflüchtete in Camps in der Wüste ausharren und auf die Versorgung durch die UN und die algerische Regierung angewiesen sind.
König nennt die Lage “bedauerlich”
Marokko und die von Algerien unterstützte Befreiungsbewegung Polisario haben bis 1991 Krieg geführt, bevor die Vereinten Nationen ihre Beobachtermission MINURSO starteten. Sporadisch kommt es auch heute noch zu Angriffen von Polisario-Einheiten auf marokkanisch kontrolliertes Gebiet. Seit 50 Jahren gibt es diese Spannungen. Damals verließ Spanien seine ehemalige Kolonie und Marokko besetzte große Teile des Gebietes.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte jetzt, den Status quo zu überwinden. Marokkos König Mohammed VI. nannte die Lage “bedauerlich” und forderte eine “einvernehmliche Lösung, ohne Gewinner und Verlierer”.
Marokko will die völkerrechtliche Hoheit über das Gebiet erlangen, aber seinen Bewohnern Autonomie erlauben. Dieser Autonomieplan aus dem Jahr 2007 fand 2020 die Zustimmung von US-Präsident Donald Trump – Marokko erklärte sich im Gegenzug bereit, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen.
Mit Frankreich und Großbritannien haben zwei weitere ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats Zustimmung zu Marokkos Position signalisiert, zudem Spanien.
EU will gutes Verhältnis
Der EU liegt viel an einem guten Verhältnis zu Marokko. Vor allem, weil das Land Migranten daran hindert, nach Europa zu flüchten. Die Westsahara ist stellenweise keine 150 Kilometer von der spanischen Kanareninsel Fuerteventura entfernt. Marokkanische Sicherheitskräfte haben an der Küste Beobachtungsposten, die nur wenige hundert Meter voneinander entfernt liegen.
Für einige EU-Staaten ist es wohl “Realpolitik”, Marokko nicht verprellen zu wollen. Es gibt aber auch EU-Diplomaten, die warnen: Wenn man Marokkos Anspruch auf die Westsahara unterstütze, welche Argumente habe man dann gegenüber Russland, was etwa die Krim betrifft?
Kommt jetzt mit der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates Bewegung in die Sache? Isabelle Werenfels, Maghreb-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, rechnet damit, “dass längerfristig das Mandat der MINURSO geändert wird”. Dies wäre der Auftakt für neue Schritte zur Lösung des Konflikts.
Polisario warnt
Der Außenminister der Polisario, Mohamed Yeslem Beissat, warnte jedoch vergangene Woche in Algier davor, seine Organisation zu übergehen. Man sei verhandlungsbereit, aber: “Wir akzeptieren niemals ein Ergebnis, das uns aufgezwungen wird.” Marokkos Autonomieplan mit Hilfe der USA und anderer Verbündeter durchzuboxen, ohne die ursprünglichen Bewohner, die Sahrauis, in einem Referendum zu befragen, sei völlig inakzeptabel.
Wer an so einem Referendum teilnehmen könnte, ist aber ebenfalls umstritten. Hoteldirektor Younes Mafoud etwa – dürfte er abstimmen? In Teilen der Westsahara machen Zugezogene 90 Prozent der Bevölkerung aus.
Hardliner in den USA erwägen inzwischen, die Polisario auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen. Doch das, sagen Experten, würde eine Verhandlungslösung nahezu unmöglich machen.
Tiefsee-Hafen und Wasserstoff
Der Ex-UN-Botschafter Marokkos, Mokhtar El Ghambou, verweist auf die Milliardeninvestitionen und Entwicklungsfortschritte im Süden als Beleg für den nationalen Zusammenhalt: “Von allem, was da gemacht wird, profitiert die lokale Bevölkerung.”
Kaum ein Vorhaben dürfte die Region einmal so stark prägen wie der neue Tiefseehafen, der 10.0000 Menschen Arbeit geben und die Sahelstaaten an den Atlantik anschließen soll. Mit einem Volumen von 1, 2 Milliarden Euro sei der Dakhla Atlantic Port das derzeit größte Investitionsprojekt Marokkos, erklärt der Leiter der Abteilung Finanzen und Verwaltung, Omar Abargaz.
Drei riesige Hafenbecken entstehen derzeit. Die weltgrößten Containerschiffe könnten dort anlegen. Auch der Export von grünem Wasserstoff sei vorgesehen.
Der Hafen von Dakhla ist noch im Bau, doch vor Ort sind die Erwartungen an das Projekt groß.
Steuerfreiheit für Investoren
Über der Lagune, einige Kilometer südlich des Hafens, kreisen heute schon bunte Drachen der Kite-Surfer am Himmel. Jonathan aus Großbritannien ist schon zum fünften Mal in Dakhla, wegen der guten Bedingungen: “Es gibt wirklich konstant starken Wind. Und man kann hier gutes Material ausleihen.” Und zwar bei Hannes Unterweger. Der Österreicher betreibt an der Lagune einen Surfverleih. Ein Vorteil für Investoren wie ihn, sagt Unterweger, sei, dass sie von Steuern befreit seien.
Der Unternehmer ist einer der Pioniere. Er setzt darauf, dass sich der Streit um die Sahara, wie er sie nennt, schon bald erledigt haben wird: “Ich bin hier in Marokko in der Sahara. So ist das für mich. Es wird von Marokko administriert, es fühlt sich an wie Marokko, für uns ist es Marokko.”
Dass die Surf-Touristen derzeit in Dakhla konsularisch nicht betreut werden können und sie sich auf umstrittenem Gebiet befinden, scheint niemanden abzuschrecken. Ungeklärte völkerrechtliche Fragen können Surf-Fans offenbar besser verkraften als Flaute über dem Ozean.


