interview
Ein neuer UN-Bericht zeigt: Viele Länder, darunter auch EU-Staaten, haben die Abgabefrist zur Festlegung ihrer Klimaziele verpasst. Kein gutes Signal kurz vor der Konferenz, sagt Klimaforscher Niklas Höhne.
tagesschau.de: Der Abgabetermin für die Staaten und Länder war eigentlich im Februar, nur wenige haben den Termin geschafft, was bedeutet das?
Niklas Höhne: Im Februar dieses Jahres war es mau, da haben nur sehr wenig Länder Ziele eingereicht. Und auch jetzt bis Ende des Monats waren nur ein Drittel der Länder vertreten. Das ist eine sehr enttäuschende Situation, dass Länder wenig Appetit haben, sich international zu mehr Klimaschutz zu verpflichten. Das ist aus meiner Sicht unverantwortlich, denn der Klimawandel schreitet voran. Jeden Monat sehen wir Extremwetterereignisse von nie dagewesenem Ausmaß. Und der Klimawandel geht nicht weg dadurch, dass man ihn ignoriert. Da müsste eigentlich deutlich mehr passieren.
Auch die EU hat keine Klimaziele abgegeben
tagesschau.de: Die USA hätten abgeben müssen, auch China, Indien, die EU. Was liegt aus den Ländern vor?
Höhne: Dieser Prozess, dass die Länder neue Ziele festlegen, findet alle fünf Jahre statt. Die Hoffnung ist, dass sie ambitioniertere Ziele vorlegen, so dass das Gesamtbild weltweit besser wird. In der Vergangenheit hat das recht gut funktioniert. Aber dieses Mal ist es sehr stockend. Die USA hat schon im letzten Jahr ein Ziel eingereicht – allerdings noch unter der Biden- Administration. Das wurde und wird auch jetzt noch von ungefähr der Hälfte der Bundesstaaten unterstützt. Da aber die Trump-Administration aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen möchte, ist das Ziel, dass die USA vorgeschlagen hat, nicht wirklich valide.
Die EU hat noch kein Ziel abgestimmt und damit auch keines eingereicht. Sie ist also verspätet dran. Das ist sehr enttäuschend, denn die EU hat, jetzt wo die USA wegfallen, eine sehr wichtige Vorreiterrolle. Die EU müsste jetzt schnell vorangehen und sagen, “wir sind weiter dabei” beim Klimaschutz. Sie hat das aber nicht geschafft. Es gibt die Hoffnung, dass sich die EU in der kommenden Woche noch abstimmt und das Ergebnis vor der großen Klimakonferenz einreicht. Die deutsche Regierung hätte sich dafür einsetzen können, dass der Zeitplan eingehalten wird. Das hat sie aber nicht getan.
Und dann bleibt noch China als größter Emittent. Auch die haben offiziell noch nicht eingereicht. Aber immerhin hat der Staatschef Xi Jinping verkündet, dass man ein Ziel habe: Zum ersten Mal sollen die Emissionen reduziert werden und es sollen weniger Emissionen produziert werden als bisher. Das ist ein wichtiger Schritt, aber auch das hätte noch ambitionierter aussehen können.
“Wir haben eine sehr schwierige globale Lage”
tagesschau.de: In diesem Bericht steht auch drin, dass das Ausmaß und die Schwere der Klimakrise noch nie so deutlich waren wie heute. Wenn man diesen Satz hört und die wenigen eingereichten Ziele sieht – was bedeutet das dann?
Höhne: Es ist aus meiner Sicht unverantwortlich, wie sich die Länder in dieser Situation verhalten. Der Klimawandel ist existenzbedrohend. Wir sehen jedes Jahr und jeden Monat Extremwetterereignisse. Es ist jetzt wirklich jedem klar, dass wir den Klimawandel bremsen müssen. Solange wir Treibhausgase emittieren, solange wir CO2 emittieren, solange wir Kohle, Öl und Gas verbrauchen, wird die globale Temperatur ansteigen. Und erst wenn wir keine Kohle, kein Öl, kein Gas mehr verbrennen, hört die Erderwärmung auf zu steigen und stabilisiert sich. Deswegen ist es so wichtig, jetzt so schnell wie möglich etwas zu tun.
Das Problem aber ist, dass wir eine sehr schwierige globale Lage haben. Wir haben verschiedene Kriege, in der Ukraine zum Beispiel und bis vor kurzem in Gaza. Wir haben in allen Demokratien einen Ruck nach rechts und wir haben eine Trump Administration in den USA, die sich jenseits der Fakten bewegt, die autokratische Züge hat, die andere Länder massiv unter Druck setzt. Und in dieser Gemengelage ist es sehr, sehr schwierig, auf Kooperation zu setzen. Und das ist die Idee von dem internationalen Klimaabkommen, dass man zusammenarbeitet. Dafür scheint gerade nicht die richtige Situation zu sein. Das ist aber, aus meiner Sicht, extrem gefährlich.
Wir müssen etwas tun und wir können auch was tun. Erneuerbare Energien, Elektroautos oder Batterien sind so günstig wie nie. Hier macht es Sinn mehr zu tun. Wir können, wenn wir den Klimaschutz richtig machen, auch einen sozialen Ausgleich hinbekommen. Es gibt so viele rationale Argumente mehr zu tun. Hier auf die Bremse zu treten und die Fossilen wieder zu befördern, das ist aus meiner Sicht irrational. Aber diese Strategie wird von einigen sehr starken Playern zur jetzigen Zeit verfolgt.
Bei Klimaverhandlungen geht es auch um Geld
tagesschau.de: In knapp zwei Wochen beginnt die Klimakonferenz in Brasilien. Mit welchen Zielen sollte Deutschland in diese Konferenz gehen?
Höhne: In der jetzigen Situation braucht es Vorreiter, also Länder, die vorangehen und sagen “Genau das wollen wir jetzt”. Deutschland ist hier extrem zögerlich. Die jetzige Bundesregierung hat sich zwar zu den Klimaschutzzielen bekannt, setzt aber keine Maßnahmen um, um sie auch wirklich zu erreichen. Deutschland könnte zu Hause Vorreiter sein und mehr Maßnahmen umsetzen, um die eigenen Emissionsziele zu erreichen. Da müsste aus meiner Sicht noch einiges passieren.
Bei den Klimaverhandlungen geht es immer auch um viel Geld. Die Industrieländer haben mehr Verantwortung am Klimawandel und deswegen müssen sie andere Länder unterstützen – auch da könnte Deutschland Vorreiter sein. Die Regierung könnte mit einem klaren Angebot zur Konferenz reisen, wieviel Geld an andere Länder überwiesen werden soll, um ihnen bei der Transformation zu helfen. Wenn wir anderen Ländern helfen, diese Transformation hinzubekommen, dann hilft uns das auch auf globalem Niveau.
Klimakonferenzen haben auch Erfolge gebracht
tagesschau.de: Was braucht es, damit diese COP in Brasilien erfolgreich wird?
Höhne: Die diesjährige Konferenz steht unter einem schlechten Stern. Normalerweise funktionieren solche Konferenzen, wenn man drei Bedingungen erfüllt sieht.
Das eine ist, dass man sich geeinigt hat, dass man sich einigen will, also eine Frist gesetzt hat. Die gibt es diesmal nicht unbedingt. Es gibt keine große Entscheidung, die ansteht.
Zweitens: Die Weltlage muss gut sein, so dass es die Zeit und den Willen gibt für Kooperation und für den Klimaschutz. Das passiert gerade nicht.
Und der dritte Punkt ist eine gute Präsidentschaft, ein vorsitzendes Land, das Vertrauen genießt. Das ist mit Brasilien gegeben. Das Land ist im Mittelmaß, sie machen einige Sachen gut, aber haben auch einige Probleme. Insofern gibt es die Hoffnung, dass man einen Schritt vorankommt. Aber wie gesagt, nur einen Schritt.
Wenn man sich das gesamte Konzept der Klimaverhandlungen anschaut, dann muss man sagen, sie haben etwas vorangebracht. Über die letzten zehn Jahre, so alt ist das Pariser Klimaschutzabkommen, haben die Verhandlungen dazu geführt, dass Länder sich zum Beispiel Klimaneutralitätsziele gesetzt haben, und das damit über den kompletten Ausstieg aus fossilen Energien, aus der Kohle, aus dem Verbrennungsmotor gesprochen wird. Unsere Prognose für die globale Erwärmung ist heute sehr viel besser als vor 10 Jahren. Das war vorher undenkbar.
Für die einzelnen Konferenzen ist es immer schwierig einen Durchbruch hinzubekommen und hohe Erwartungen sind schwer zu erfüllen. Über mehrere Jahre hinweg gesehen hat der Prozess aber sehr viel erreicht.
tagesschau.de: Gehen Sie als Klimawissenschaftler hoffnungsvoll nach Brasilien?
Höhne: Es wird eine der schwierigsten Klimakonferenzen, die ich bisher besucht habe. Grund dafür ist die schwierige Weltlage. Aber Aufgeben ist keine Option. Und auch den Klimawandel einfach zu vergessen, ist keine Option. Deswegen sind diese Konferenzen wichtig. Allein schon, weil wir jetzt darüber reden und es diese Aufmerksamkeit gibt.
Ich erwarte keinen großen Durchbruch bei dieser Konferenz. Aber ich erwarte, dass sich die Länder, die es ernst meinen, zusammentun und das auch klar kommunizieren. Und so vielleicht die Länder, die sagen Klima sei eigentlich nicht so wichtig, ein wenig an den Rand drängen. Die rationalen Argumente sprechen klar für mehr Klimaschutz, schnell und auf sozial ausgewogene Art und Weise. Jetzt den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Option.
Das Gespräch führte Anja Martini für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.
Zur Person
Niklas Höhne ist Fachmann für nationale und internationale Klimapolitik. Er ist einer der Gründer des NewClimate Institute und Professor an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Seit 30 Jahren nimmt er an den internationalen Klimaverhandlungen teil.
