Immer wieder geht die türkische Regierung gegen Kritiker im eigenen Land vor. In letzter Zeit geraten dabei zunehmend Prominente ins Visier – unter ihnen Popstars und Schauspieler. Jüngst gab es eine Drogen-Razzia gegen sie.
Anfang Oktober sorgte eine Nachricht in der Türkei für großes Aufsehen: Drogen-Razzia gegen 19 Türkische Popstars, Schauspieler und Influencer, unter ihnen berühmte Popstars wie Hadise, die 2009 für die Türkei am Eurovision Songcontest teilnahm.
Sie und die anderen Künstler waren nicht etwa beim gemeinsamen Drogenkonsum erwischt worden, sondern lediglich auf Verdacht vorgeladen worden – auf Anordnung der Istanbuler Staatsanwaltschaft, die sie früh morgens von Sondereinsatzkommandos zu Verhör und Bluttest abholen ließ.
Auffällig: Fast alle der vorgeladenen Stars hatten sich in den vergangenen Monaten in irgendeiner Form kritisch geäußert. So auch die bekannte Schauspielerin Demet Evgar. Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu im März hatte sie den Boykottaufruf der Opposition geteilt und in den sozialen Medien die Freilassung der festgenommenen Studenten gefordert, die wochenlange auf den Straßen demonstriert hatten.
“Einschüchterungsversuche der Regierung”
Der Vorsitzende von İmamoğlus Partei CHP, Özgür Özel, sprach in der Folge von einem Einschüchterungsversuch der türkischen Regierung. “Hier geht es nicht um den Kampf gegen Kriminalität“, teilt er mit. Drogen – und Mafiabosse könnten frei herumlaufen, so Özel, während die Wohnungen von Künstlern morgens um fünf gestürmt würden. “Diese Operation sendet die Botschaft: Entweder ihr seid unsere Künstler – oder ihr seid dran.”
Schlachtruf der Opposition skandiert
In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Ermittlungen innerhalb der türkische Promi-Szene bekannt, oftmals traf es Musiker. Gegen die bekannte Girlband “Manifest”, wurden Ermittlungen eingeleitet, nachdem sie bei einem ihrer Konzerte einen bekannten Schlachtruf der Opposition skandiert hatten.
Dem Sänger Mabel Matiz droht aktuell sogar eine Haftstrafe: Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage gegen den offen homosexuellen Sänger erhoben – wegen Obszönität. Bei der Klage geht es um einen seiner Songs, der von einer Liebesgeschichte zwischen zwei Männern handelt.
Hetzkampagne regierungsnaher Medien
Regierungsnahe Medien hatten zuvor eine Hetzkampagne gegen den Musiker gestartet, wo sie ihn unter anderem als Missionar der LGBTQ-Gemeinde bezeichneten, die in der Türkei seit Jahren unter zunehmenden Repressionen leidet, befeuert von der konservativ-islamischen Regierung.
Es gehe darum, Lebensstile zu kontrollieren, sagt Selcuk Cancansayar, Professor für Psychologie an der Hacettepe Universität in Ankara, einer der renommiertesten Universitäten in der Türkei. Er glaube allerdings, dass die Regierung ihre Glaubwürdigkeit damit Stück um Stück verliere. “Die Menschen nehmen die Erklärungen nicht mehr als wahre Informationen wahr. Begriffe wie wahr oder falsch spielen kaum noch eine Rolle”, erklärt der Psychologe. “Bei vielen Menschen bleibt hängen: Wer öffentlich angeprangert will, der ist nicht unbedingt schuldig, sondern vielmehr jemand, den die Regierung nicht will.”
Umfragewerte steigen trotz Gefängnis
Das zeigt beispielhaft der Fall des inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu. Seit er im Gefängnis sitzt, steigen seine Umfragewerte, viele Türkinnen und Türken sehen in ihm nach wie vor einen potenziellen Nachfolger von Staatspräsident Erdogan. Aktuell laufen gegen ihn zahlreiche Anklagen, der jüngste Vorwurf – Spionage fürs Ausland – kam erst vor kurzem dazu.
Angeblich positive Drogentests
Vor wenigen Tagen nun landeten die Ergebnisse der 19 auf Drogen getesteten Stars in der regierungsnahen Presse – noch ehe die Beschuldigten selbst sie erhalten hatten. Elf Personen sollen demnach negativ sein, acht positiv, unter ihnen die Schauspielerin Birce Akalay. Sie habe noch nie die angegebenen Substanzen konsumiert, erklärte die 41-Jährige. Sie nehme aber seit langem Anti-Depressiva.
Ob weiter gegen sie und die anderen ermittelt wird, ist unklar. Die Schauspielerin hatte im Frühjahr der Regierung vorgeworfen, die Justiz als Werkzeug zu missbrauchen: “Wir leben in einer Zeit, die den Inquisitionsgerichten im Mittelalter gleicht”, schrieb sie damals.

