In der Schweiz wird ein Verbot von Adoptionen aus dem Ausland diskutiert. Befürworter argumentieren mit schweren psychischen Folgen für Betroffene. Kritiker sprechen von mutmaßlich verwehrten Chancen.
Aus dem Ausland adoptierte Kinder haben ein deutlich erhöhtes Risiko für physische und psychische Probleme – davon ist Rebekka Allemann überzeugt. Die Züricher Projektmanagerin setzt sich für ein Verbot von Auslandsadoptionen in der Schweiz ein. Ihre Motivation ist zutiefst persönlich: Allemann wurde als Kleinkind aus Südkorea in die Schweiz adoptiert.
Noch heute empfindet die 53-Jährige ihre Biografie als schwere Last. Drei Jahre alt war Rebekka Allemann, als sie Mitte der 1970er-Jahre aus Südkorea in die Schweiz kam. Ein Rückflugticket gab es nicht – sie wurde adoptiert. Schon früh musste sie mehrere Familienwechsel verkraften, verbrachte Zeit in einer Kinderpsychiatrie.
“Ein interkontinental adoptiertes Kind trägt von Beginn an einen schweren Rucksack”, sagt Allemann. Aus anderen Kulturkreisen adoptierte Kinder litten häufig unter Identitätskrisen, Verlustängsten und quälenden Fragen nach der eigenen Herkunft, argumentiert sie. Gemeinsam mit weiteren Aktivistinnen und Aktivisten wirbt Allemann für ein Verbot von Auslandsadoptionen.
Debatte im Schweizer Bundeshaus
“Zuerst einmal ist da die Entwurzelung”, sagt Allemann. “Kinder werden aus einem Kontext mit Sprache, Kultur, Gerüchen, Gesichtern und vertrautem Essen gerissen und in eine völlig andere Umgebung verpflanzt. Das passiert in der Regel in einem Alter, in dem sie keine Worte dafür haben. Aber der Körper und die Psyche erinnern sich.” Über ihre eigenen, oft schmerzhaften Erfahrungen hat sie das Buch “Importkind” geschrieben.
Als Betroffene wurde Allemann auch vom Schweizer Bundesrat angehört. Der sozialdemokratische Justizminister Beat Jans brachte Anfang 2025 ein Verbot von Auslandsadoptionen auf den Weg – auch und gerade angesichts von Missständen und Skandalen der vergangenen Jahrzehnte, die Stück für Stück ans Licht gekommen sind.
So gelangten zwischen 1970 und 1999 vermutlich mehrere tausend Kinder aus dem Ausland durch Kinderhandel, mit Hilfe gefälschter Dokumente, fehlender Herkunftsangaben oder durch andere illegale Praktiken zur Adoption in die Schweiz. Das belegt eine Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) aus dem Dezember 2023.
Jans räumte Anfang 2025 dann auch ein, dass es bei internationalen Adoptionen in die Schweiz in der Vergangenheit in großem Umfang zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Das dürfe es künftig nicht mehr geben, erklärte der SP-Politiker.
Vorhaben ausgebremst
Dass es zu einem Verbot von Auslandsadoptionen kommt, ist dennoch unsicher. Andere Länder wie Dänemark und die Niederlande haben Auslandsadoptionen bereits verboten. In Deutschland wird das Thema bislang vor allem in Fachkreisen diskutiert.
Das Vorhaben der Schweizer Regierung wurde im parlamentarischen Verfahren ausgebremst. Zu den schärfsten Kritikern eines Verbots zählt der Nationalrat Nik Gugger von der christdemokratischen Partei EVP. Gugger wurde ebenfalls in den 1970er-Jahren adoptiert – er stammt aus Indien. Im Parlament warb er eindringlich gegen das Vorhaben.
Er wisse, “wie schlimm es ist”, sagte Gugger mit Blick auf eigene Erfahrungen in seiner Familie, in der drei Personen adoptiert seien, während einer Debatte im Nationalrat in Bern. “Dennoch heiße ich ein Verbot von Auslandsadoptionen nicht gut.”
Mit Herausforderungen umgehen lernen
Im Gespräch mit dem ARD-Hörfunk betont Gugger, seine eigene Adoption habe ihm vermutlich ein Leben auf der Straße in Indien erspart. Rückblickend empfinde er sie als großes Glück. Das individuelle Leid vieler Auslandsadoptierter erkennt er dennoch an.
“Es ist garantiert eine zusätzliche Herausforderung”, sagt Gugger. Etwa, wenn Menschen in der Pubertät begännen, sich intensiv zu fragen: ‘Wer bin ich, woher komme ich?’ Diese Fragen stelle sich jeder Mensch, so Gugger. “Dann kann es eine doppelte Herausforderung sein.”
Mit solchen Herausforderungen könne man jedoch umgehen lernen, sagt der Politiker – auch mit Blick auf seine eigene Biografie. Auch Gugger hat ein Buch geschrieben. Der Titel “Entgegen allen Widrigkeiten” steht sinnbildlich für seine Lebenseinstellung. Entsprechend betont der EVP-Nationalrat: “Ein Verbot von Auslandsadoptionen sehe ich ganz und gar nicht.”
Strengere Regeln statt Verbot?
Nik Gugger hat innerhalb weniger Wochen mehr als 10.000 Unterschriften gegen ein Verbot von Auslandsadoptionen gesammelt. Eines seiner Argumente: Kindern in prekären Situationen dürfe man die Chance auf ein besseres Leben nicht verwehren. Zudem seien Auslandsadoptionen in der Schweiz heute streng reguliert, um Missbrauch zu verhindern.
Gugger verweist auf das Haager Übereinkommen von 1993 zum Schutz von Kindern bei internationalen Adoptionen. Um Kritikern von Auslandsadoptionen entgegenzukommen, schlägt er vor, die bestehenden Regeln weiter zu verschärfen.
“Wenn man mit dem heutigen Verfahren nach dem Haager Standard und den Schweizer Standards nicht einverstanden ist”, sagt Gugger, “dann bin ich einverstanden, wenn man zusätzlich etwa noch Schwarze Listen erstellt von Ländern, die sich nicht an Regeln halten oder bei denen man nachweisen kann, dass unsauber gearbeitet wurde.”
Grundsätzliche Fragen bleiben
2026 werden sich Parlament und Regierung erneut mit dem Thema befassen. Nach einer Statistik des Schweizer Bundesamts für Statistik in Neuchâtel werden derzeit nur noch rund 20 Kinder pro Jahr aus dem Ausland adoptiert. Im Vergleich zu Mitte der 2000er-Jahre entspricht das einem Minus von mehr als 90 Prozent.
Für die in Südkorea geborene Züricherin Rebekka Allemann sind die Zahlen noch immer zu hoch. Sie will sich auch 2026 für ein Verbot der Auslandsadoptionen einsetzen. Wertvoll sei aber schon jetzt die gesellschaftliche Debatte, betont sie.
“Sie ist relevant, weil die Frage im Raum steht, ob es ein Menschenrecht ist, Kinder zu haben”, sagt Allemann. Ebenso gehe es um die Frage, wie stark Frauen und Paare gesellschaftlich unter Druck stünden, Nachwuchs zu bekommen. “Wir haben ein sehr romantisiertes Bild einer Vorzeigefamilie. Die Frage ist: Wer definiert denn, was eine gute oder eine richtige Familie ist?”
