Zum Ende des Jahres hoffen auch in der Türkei viele, als Lotto-Millionär ins neue Jahr zu starten. Seit fast 100 Jahren zieht vor allem ein bestimmter Lotto-Kiosk die Glücks-Hungrigen an.
Es ist der wohl berühmteste Lotto-Kiosk in Istanbul: Ganz in der Nähe des großen Bazars, in der Altstadt von Sultanahmet kommen die Menschen in diesen Tagen in Scharen zu Nimet Abla, zu Schwester Nimet. Im Lotterie-Rausch nehmen sie es in Kauf, für die türkische Neujahrslotterie oft Stunden in der Schlange zu stehen.
Auch treue Stammkunden sind dabei: “Ich kaufe jedes Jahr meine Scheine hier”, erzählt einer von ihnen. “Ich bevorzuge Nimet Abla, weil hier besonders viele Tickets verkauft werden – mehr Tickets, mehr Glück.” Eine Frau sagt, sie kaufe immer an diesem Kiosk, aber gewonnen habe sie noch nie etwas. Sie hofft auf diese Runde.
Tradition sorgt für Hoffnungen
Der Kauf eines Tickets hier hat inzwischen Tradition. 1928 hat die türkische Geschäftsfrau Nimet in ihrem Kiosk die ersten Lose verkauft – und im Lauf der Zeit mehreren Menschen einen Gewinn beschert. Inzwischen ist die Glücksfee Nimet verstorben, doch bis heute glauben die Leute an die Erfolgsgarantie der Lose, die sie hier gekauft haben.
Zum Leid von Ismail. Auch er verkauft Losscheine für die Neujahrsziehung, wenige Meter neben dem berühmten Lotto-Kiosk. Doch der 49-Jährige steht sich mehr oder weniger die Beine in den Bauch. Gekauft wird nebenan: “Es sind dieselben Tickets, es macht doch keinen Unterschied”, sagt er. “Die stellen sich doch umsonst da an, bei der Kälte. Dabei ist es doch egal. Wer Glück hat, hat auch Glück mit einem Ticket von uns. Aber weil der Kiosk da ab und an mal einen Treffer landet, stellen sich alle dort an.”
Fast jedes zweite Los wird hier verkauft
An insgesamt sechs Schaltern wandern die Losscheine über die Ladentheke – im Sekundentakt. Ein Ticket kostet 800 Lira, knapp 16 Euro. Viel Geld für die, die in Zeiten hoher Inflation auf jede einzelne Lira angewiesen sind. “Dieses Jahr haben wir schon mehr Scheine verkauft als im Vorjahr”, berichtet Verkäufer Eren. “Das ist sehr erfreulich, in einer so inflationären Lage ist das ein großer Erfolg.”
Die besten Verkaufszahlen habe es 2019 und in diesem Jahr gegeben, sagt er. “2019 war für uns ein Rekordjahr, dann gingen die Zahlen wegen der Pandemie runter. Jetzt haben wir trotz Inflation wieder gute Verkaufszahlen erreicht.”
45 Prozent aller landesweit verkauften Tickets kommen von dem Kiosk in Istanbul, erklärt Eren – ein Verwandter von Nimet. 800 Millionen türkische Lira sind dieses Mal im Jackpot – umgerechnet knapp 159 Millionen Euro.
Würde Arzu an Silvester den Hauptgewinn abstauben – sie wüsste schon jetzt, was sie damit machen würde: “Sollte ich den großen Preis gewinnen, würde ich als allererstes ein Krankenhaus für Straßenhunde und -katzen bauen lassen, geknüpft an eine Stiftung. Sollte mein Glück für einen nur kleineren Gewinn ausreichen, dann werde ich wohl meine eigenen Bedürfnisse begleichen.”
“Die Hoffnung stirbt zuletzt”
Das Lotterie-Spiel, es ist ein Geschäft mit der Hoffnung – eines, das nicht von allen im Land gerne gesehen ist. Unter den religiösen Konservativen gilt das Glücksspiel als Haram – Sünde. Entsetzt reagiert diese Frau und wird gleich politisch: “Was für eine Sünde soll das sein? Die sollen erst einmal an ihre eigenen Sünden denken.”
Ob Haram oder nicht, Lotterie-Verkäufer Ismail weiß: Hinter jedem verkauften Lottoschein steckt eine besondere Not. “Was bleibt den Menschen übrig, als ihr Glück in der Lotterie zu suchen – bei den Lebenshaltungskosten? Wie sollen die Menschen mit dem Mindestlohn durch den Monat kommen? Gerade im teuren Istanbul?”
Deshalb wichen die Menschen zu Glücksspielen aus, glaubt Ismail. “Die Hoffnung stirbt zuletzt.” Und so geht der Mythos von Nimet Abla auch nach dieser Silvester-Ziehung weiter.
