Am 19. November schlugen russische Raketen und Drohnen in der westukrainischen Stadt Ternopil ein. Mindestens 38 Zivilisten wurden getötet. Ein Besuch bei Menschen, die an Weihnachten trauern müssen.
Kamal El Akhdar kommt vor vielen Jahren aus Marokko zum Studieren in die Ukraine. Er lernt das Land lieben, heiratet Mariia und gründet mit ihr eine Familie. Er ist ein glücklicher Ehemann und Vater. “Ich bin morgens in die Küche und hab dem Kleinen seine Milch gemacht”, sagt Kamal. Dann verändert ein Moment alles in seinem Leben.
Am Morgen des 19. November schlagen russische Raketen und Drohnen in Ternopil ein. Es ist einer der tödlichsten Angriffe auf den Westen der Ukraine seit Kriegsbeginn. 38 Menschen werden getötet, drei weitere werden bis heute vermisst.
Unter den Todesopfern sind auch Mariia, Kamals Ehefrau, und ihre beiden Kinder Kamila (6) und Nasar (1). Kamal überlebt, weil er im Nachbarraum ist. Bei der Beerdigung umschließt der Witwer den kleinen Sarg seines jüngsten Kindes mit beiden Armen, als würde er es ein letztes Mal in den Schlaf wiegen.
“Kein Mitgefühl bringt meine Enkel zurück”
Was Kamal durchleben muss, ist herzzerreißend. Er beschreibt das Gefühl so:
Eine Sekunde verändert dein ganzes Leben. Du schaust sie an, und eine Sekunde später sind sie nicht mehr da. Das ist hart, wenn die drei wichtigsten Menschen in deinem Leben auf einmal verschwinden.
Jeden Tag ist Kamal gemeinsam mit seinen Schwiegereltern Oleksandra und Mychajlo am Grab seiner Liebsten. Unzählige Blumen zeigen die große Trauer und Anteilnahme der Menschen.
“Es gibt sehr viel Mitgefühl”, sagt Oleksandra, Mutter der getöteten Mariia. “Ich bin allen dankbar, die mir dabei helfen, meinen Verlust zu verarbeiten. Aber kein Mitgefühl der Welt bringt meine geliebten Enkel zurück, meine Tochter.”
Mehr als 450 Soldaten beerdigt
Für viele Familien in der Ukraine steht auch dieses Weihnachten wieder im Zeichen der Trauer. Seit 2022 wurden allein in Ternopil mehr als 450 Soldaten beerdigt. Die Front liegt im Osten des Landes, hunderte Kilometer entfernt. Die Grenze zur EU ist um einiges näher.
In diesem Jahr trifft der russische Angriffskrieg Ternopil so hart und direkt wie noch nie. “Nach diesen Angriffen fällt es schwer, zu feiern”, sagt Hanna, die mit ihrer Enkelin die Schafe vor der Krippe im Stadtzentrum streichelt. “Trotzdem kommt bei uns an Weihnachten die ganze Familie zusammen.”
“Froh, dass kein Weihnachtsbaum aufgestellt wird”
Kurz vor den Feiertagen kommt in Ternopil keine Weihnachtsstimmung auf. “Es gibt seit vier Jahren keine festliche Stimmung”, sagt Julia. Die junge Frau spaziert mit ihrem Partner über den großen Platz im Stadtzentrum.
“Deshalb bin ich auch froh, dass kein Weihnachtsbaum aufgestellt wird.” Der zentrale Platz im Herzen von Ternopil bleibt ohne Weihnachtsbaum leer.
Bürgermeister Serhij Nadal bedauert das, steht aber hinter der Entscheidung. Ein großer leuchtender Baum in Zeiten von Strommangel und Trauer wäre unpassend. Wichtiger als Symbolik sei die Einstellung.
Bürgermeister stolz auf “Charakter von Ternopil”
Die Menschen in Ternopil hätten Herz gezeigt und den Opfern des russischen Angriffs geholfen, als sie die Hilfe dringend brauchten. Mit Essen, Trinken, Kleidung, zwischenmenschlicher Zuwendung.
“Diese Tragödie zeigt den Charakter von Ternopil. Wenn Menschen zusammenstehen und sich selbst vergessen, um anderen zu helfen”, sagt Ternopils Bürgermeister. Das passe zum Geist der Weihnachtszeit.
Russlands Krieg hat die Menschen in der gesamten Ukraine gelehrt, jede Sekunde mit ihren Liebsten bewusst zu erleben.

